Der Christkönig und die Mission

Ordensleute vor der Pfarrkirche Stella Maris, Nias (Indonesien)
(Foto: Privatarchiv)

Zu dem Evangelium, das wir eben gehört haben, gibt man gewöhnlich den Titel "die Rede Jesu über das Endgericht". Dann hat man schon vor Augen die Szene vom Hirtenleben, wenn der Hirt am Abend die Schafe von den Böcken trennt. Das kann dazu führen, daß man das Gewicht dieser Rede Jesu möglicherweise verkennt. Aber die eigentliche Botschaft dieser Gleichnisrede liegt in den Schlußsätzen: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan ... Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan, das habt ihr auch mir nicht getan.

Und wenn man im Hinterkopf hat, daß dem Evangelisten Matthäus mit seinem Evangelium die Unterweisung der Gemeinde durch Katechese am Herzen liegt (vgl. Martini), dann bekommt diese Gleichnisrede noch ein anderes Gewicht. Es geht hier in erster Linie nicht mehr um die letzten Dinge und das Endgericht, sondern genau umgekehrt um das Leben nach dem Evangelium "hier und jetzt". Das heutige Evangelium ist die Antwort auf die Frage, wie man nun leben soll, wenn man sich für das Evangelium Jesu Christi entschieden hat.

Die ganze Erzählung --so hat der Bibelwissenschaftler und Bischof Carlo Martini einmal geschrieben-- soll uns die Weisheit des Evangeliums vermitteln, nämlich, daß die Beziehung des Menschen zu dem auferstandenen Christus in der Beziehung von Mensch zu Mensch sich abspielt. Es besteht ein enges Verhältnis zwischen der Beziehung zu Christus und der Beziehung zum Nächsten, zu den Geringsten unter uns. Solche Beziehung macht ein christliches Leben, ein Leben nach dem Evangelium Jesu Christi aus. Ohne sie bleibt der Glaube an Christus ein Lippenbekenntnis.

Es tauchen natürlich mindestens zwei klassischen Fragen auf. Die erste: Wer ist mein Nächster? Wer ist der Geringe unter uns? und die zweite: Wenn er unter uns sein soll, was müssen wir für ihn tun?

Bei der ersten könnten die weiteren Fragen folgen: Um wen handelt es sich bei den Geringen in dieser Gleichnisrede? Sind es die Schwachen, die Armen ganz allgemein, die in der Christengemeinde Geringen, oder die Christen im allgemeinen, die in der Welt klein, arm und verfolgt dastehen gegenüber der Macht und Pracht der Welt? Oder handelt es sich um die im Dienst der Gemeinde Stehenden, also um die Kleinen, die den, der sie zur Kenntnis nimmt, in eine gute Beziehung zu Christus verstetzen? Jesus hat ja auch gesagt: Der Größe unter euch soll werden wie der Kleinste, und der Führende soll werden wie der Dienende (Lk 22,26).

Martini glaubt, daß beide Interpretationen möglich sind. Bei den Geringen handelt es sich um die Armen in jedem Sinn: die materiell Armen im allgemeinen, die im Geist kleinen, die im Amt, im Dienst stehenden. Er vermutet sogar, daß Jesus hier von einem spezifischen Fall sprechen will, nämlich vom Wert eines kleines christlichen Handelns. Als wollte Jesus sagen: "ihr seid nie um diese Beziehung herumgekommen; selbst da, wo es sich um eine lächerliche, unbedeutende, belanglose Situation zu handeln scheint, nehmt ihr Stellung zu mir. Es handelt sich also um unser Handeln und Tun im alltäglichen Leben.

Die Antwort auf die zweite Frage --was wir tun sollen, um unsere Beziehung zu Christus sichtbar zu machen-- können wir von den Kriterien entnehmen, die der Menschensohn bei dem Gericht aufstellt. Nur man muß vor Augen halten, daß das heutige Evangelium keineswegs ein vollständiges Verzeichnis sämtlicher Werke vorlegen will. Es ist interessant, daß der Menschensohn nicht danach fragt, ob der eine und die anderen die mosaischen Gesetze erfüllt haben --also die Gebote!--, sondern ob sie die Werke der Barmherzigkeit geleistet haben. Das ist ausschlaggebend für ein gelungenes Leben im christlichen Sinn. Im Dienst an den Nächsten zeigt sich ein Christ, daß er ein Nachfolger Jesu Christi ist. Denn wer Christus wirklich liebt, kann nicht anders sein, daß er den Mitmenschen liebt. Wer Jesus von Nazaret nachfolgt, kann ihn nicht anderswo finden, außer in den Mitmenschen.

Wenn wir das heutige Evangelium so sehen, dann bekommt das heutige Fest, der Christkönigssonntag, ein ganz anderes Gewicht. Denn wir könnten uns weiter fragen: Was bedeutet es, wenn die Kirche, wenn wir Christen bekennen, daß Jesus unser "König" ist, der Herr über unserm Leben, und der Richter, der über uns am Ende der Zeit richtet? Was bedeutet folglich eine Mission im Aufrag Jesu? Wo findet diese Mission statt? Wo und wie zeigt sie sich? Diese Fragen gelten nicht nur uns hier, sondern auch den 165 445 Christen im Bistum Sibolga, Indonesien, und den vielen Gläubigen im Bistum Oaxaca, Mexico, mit denen wir uns an diesem Missionswochenende besonders verbunden fühlen. Wir sind alle Nachfolge Christi, die noch viel lernen müssen, was es heißt, aus dem Glauben an Jesus Chritus zu leben. Das heutige Evangelium soll uns mehr beschäftigen. Ein gelebter Glaube kann nicht untätig bleiben, sondern er sucht seinen Ausdruck in Worten, Denken, Tun und Handeln. Dazu gehört sicherlich auch die Aktion "Missionswochende" hier. Aber der Glaube verlangt, daß er das grundlegende Motiv unseres ganzen Lebens wird; hier und jetzt, heute und auch morgen.
Liebe Schwestern und Brüder, zum Schluß will ich noch ein Gebet vortragen, das Carlo Martini aus einer Meditation über dieses Evangelium verfaßt hat. Ich werde es vorbeten im Bewußtsein, daß wir zusammen mit den Gläubigen in Sibolga und Oaxaca die Weltkirche sind, die immer wieder herausgefordert ist, den Glauben zu leben und ihn sichtbar zu machen.

Herr, mach, daß wir uns selbst gegenüber, der Kirche und der Welt gegenüber wahrhaftig sind. Mach, daß wir in dieser Wahrheit über uns selbst unsere Verschlossenheit, Härte, Blindheit oder innere Abgestumpftheit einsehen, alles Unvermögen, dich in uns, um uns herum, in der Welt, in den Bedürfnissen der anderen zu erkennen.

Herr, mach, daß alle zurückgewiesenen Dialoge, alle Situationen der Verschlossenheit, alle ausgeklammerten Perspektiven uns vor Augen treten.
Herr, laß uns dich in den Forderungen erkennen, die du als König, Hirte, Menschensohn, als Richter unseres ganzen Lebens an uns stellst. Laß uns dich erkennen in deiner Präsenz in unseren Beziehungen, in der konkreten Geschichte, in der Welt, in der Kirche....

Wir danken dir, Herr, der du uns deinen Geist schenkst und lebst und herrschest von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Münster, 22. November 1996
Raymond Laia OFMCap



Gehalten am Missionssonntag in St. Fidelis und in den Gottswaldgemeinden am Christkönigssonntag 23./24. November 1996

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